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100 km von Hagen bis Duisburg – 5. Tortour de Ruhr, 15. Mai 2016

Veröffentlicht am 05.06.2016

Ein Laufbericht von Uli Schiffgen

Auf der Homepage war bereits vor dem Lauf zu lesen, welche Message der Veranstalter Jens Vieler den über 200 angereisten Ultraläufern mit auf den Weg gibt. Auch die 5. Auflage des Langstreckenlaufs entlang der Ruhr wird kein Kindergeburtstag. Dabei klingt der Name der kürzesten Distanz, Bambinilauf, zunächst überhaupt nicht furchteinflößend. Dies ändert sich jedoch schlagartig, wenn man realisiert, dass es sich um einen 100-Kilometerlauf handelt. Ganze Männer bzw. Frauen treten auf der Königsdisziplin an, die von der Quelle bis zur Mündung der Ruhr über stolze 230 km führt, oder machen mindestens den Hundertmeiler.

Für Steffi war nach ihrem 12-Stundenlauf nur zwei Wochen zuvor in Basel der Bambinilauf über 100 km die Strecke ihrer Wahl. Der Start erfolgt morgens um 4:00 Uhr in Hagen am Hengsteysee, direkt an einer von Steffis Lieblingslaufstrecken in ihrer alten Heimat. Da es sich bei der Tortour um einen Selbstversorger-Lauf mit nur wenigen offiziellen Verpflegungsstellen handelt, wird sie von ihrem Vater auf dem Fahrrad begleitet. Ich ziehe es vor, mit dem Auto verschiedene Punkte an der Strecke anzusteuern. Und so geht es für Steffi in einem Läuferfeld von 55 Teilnehmern auf der ´Kurzstrecke´ los in die Nacht. Wie schon in Basel meint es das Wetter gut mit ihr. Bei Temperaturen um die 6 °C macht sich die mit Stirnlampen ausgestattete Truppe auf den Weg ruhrabwärts, immer entlang des Ruhrradwegs. Die Ruhr ist der Ursprung der frühen Industrialisierung des Ruhrgebiets. So begibt man sich auch gleichzeitig auf eine spannende Zeitreise, auf der neben viel idyllischer Natur und alten Fachwerkhäusern die Überbleibsel von Kohlezechen und Maschinenhallen zu sehen sind.

Nachdem wir die Städte Herdecke, Wetter, Witten und Bochum hinter uns gelassen haben, machen sich in Essen langsam Steffis Beine bemerkbar. "Die Tortour ist doch anspruchsvoller als der Rundenlauf in Basel", bemerkt sie nach etwa zwei Dritteln der Strecke, als ich mich – jetzt auch in Laufklamotten – zu ihr geselle. Ich habe das Auto in Essen abgestellt und möchte Steffi nun ein Stück begleiten, um zu sehen, wie sich meine einmal mehr zwickende Wade verhält. Wenn es bei mir gut läuft, plane ich zum Ziel zu fahren und ihr ein Stück entgegenzulaufen, um den Lauf anschließend mit ihr zu beenden. „Es ist gut, dass du da bist“, gibt mir Steffi zu verstehen und so geht es weiter entlang der Ruhr. Grüne Wiesen, Kühe, Wildgänse, die ersten Sportruderer erscheinen auf dem Fluß, und junge muskelbepackte Männer fragen Steffi, wie weit sie denn läuft, bevor die Ruderasse die Antwort laut und staunend wiederholen. Dann kommt unsere Freundin Mely angeradelt und vervollständigt unseren kleinen Trupp. Noch 30 Kilometer bis zum Duisburger Rheinorange, einer 25 Meter hohen Skulptur, die an der Mündung der Ruhr in den Rhein steht.

Heute wird es hart für Steffi. „Jens hat recht, das Ganze ist kein Kindergeburtstag“, kommentiert die Bambiniläuferin trocken ihre aktuelle Stimmungslage. Ich bin  noch dabei und halte mit etwas Anleitung von Steffi sogar ihre bevorzugte Reisegeschwindigkeit. Immer wieder gibt es Applaus an der Strecke, meist von den Begleitpersonen, die ihren Läufer von einem Streckenabschnitt zum nächsten begleiten. Ich mache mir Gedanken darüber, dass ich jetzt bald umkehren muss, um rechtzeitig beim Auto bzw. später im Ziel zu sein, da bittet mich Steffi plötzlich, sie doch möglichst bis ins Ziel zu begleiten. Zu meiner Überraschung willige ich ein. Mühlheim an der Ruhr, dann ein Wasserturm, etwas später zwingt uns eine Pfingstkirmes zu einem kleinen Umweg. Ich habe Steffis restliche Cola weggesüppelt. Ihr vorwurfsvoller Blick zeigt mir, das war so nicht geplant! Ich kontere mit einem Frieden stiftenden Lächeln.

Nur noch 5 Kilometer bis zum Ziel. Im `Rückspiegel` sichten wir eine weitere Läuferin. Noch ist Steffi die dritte Frau im Feld, und den Pokal – in diesem Fall eine kleine Nachbildung des Rheinorange – hätte sie wirklich sehr, sehr gerne. Nach 30 Kilometern ungeplanter Laufbegleitung bin ich völlig platt und mein gesamter linker Antriebsstrang brennt. Der dazu gehörende Rauch steigt mir in kleinen Wolken aus den Ohren und signalisiert Steffi, sich ohne mich zusammen mit ihren beiden Radfahrern Richtung Ziel aufzumachen. Ich wechsle die Schrittart. Kurz darauf werde ich von der vierten und der fünften Frau überholt. Beide sind lecker anzusehen, machen aber auch keinen taufrischen Eindruck mehr. Steffi lässt sich ihr Rheinorange nicht mehr nehmen. Sie finisht glücklich als dritte Frau in einer Zeit von 11 Stunden und 34 Minuten. Im Ziel erzählt sie von der tollen Atmosphäre, die beim Einlauf geherrscht hat, und dass alle Läufer frenetisch gefeiert und von Jens und Ricarda herzlich begrüßt worden sind. Ein großartiges Lauferlebnis für uns beide – und wann hat man als Zuschauer schon einmal die Gelegenheit, so nah bei einem Lauf dabei zu sein?

 

Link zur Veranstaltung: www.tortourderuhr.de